Badiou über Trump und die Folgen

Trump ist im Amt – noch immer. Seit nunmehr über einem Jahr dilettiert der Mann an der Spitze des mächtigsten Landes der Welt munter vor sich hin. Erreicht hat er freilich nicht viel, auch weil sich mutige Männer und Frauen ihm immer wieder entgegengestellt haben. Selbst die Macht der Medien, die jeden Fauxpas genüsslich kommentieren und skandalisieren, ist offenbar nicht groß genug, um den Usurpator aus der Wirtschaft zu Fall zu bringen. Und so gehen sie weiter, die Fehltritte und Beleidigungen, begleitet von Wellen der Entsolidarisierung auf landes- und geopolitischer Ebene.

Reißt weiter das Maul und gesellschaftliche Gräben auf: Wie lange noch, Trumpo? | © Gage Skidmore [CC BY-SA 3.0]

Schon zwei Tage nach der Wahl hat Alain Badiou an der University of California versucht, das Ereignis politisch-philosophisch in Worte zu fassen. Die Art der Ansprache lässt erahnen, welchen Schock die Wahl Trumps gerade bei politischen Gegnern auslöste: Badiou schlägt einen geradezu priesterlichen Ton an, um die aufgewühlte Gemeinde zu beruhigen und ihr durch seine Deutungen Halt und Richtung zu geben. Mit Trump sei der »Schrecken« (9) über uns gekommen, seine Wahl stelle den vorläufigen Höhepunkt einer kapitalistischen Entwicklung dar, die sich in Kataklysmen katastrophisch aufeinanderschichtet: »Durch ernste Krisen, falsche Versprechungen und ungeeignete ›Lösungen‹ erzeugen die Regierungen in ihren Bevölkerungen im großen Maße Frustrationen, Verständnislosigkeit, Angst und blinde Revolten.« (16)

Ohne Lösung der Eigentumsfrage kein Ende des Kapitalismus

Der ganze politisch-mediale Komplex mit seinen »sehr feinen Unterschieden«, die aber im Großen und Ganzen nichts zum Positiven verändern, »desorientiert« im Wesentlichen die Menschen. Eine Folge davon sei das Aufkommen eines »demokratischen Faschismus«, deren extremstes Beispiel eben dieser Trump sei – mitnichten jedoch etwas Neues, sondern eine »externe Interiorität«, die neben Sekundäruntugenden wie Nationalismus, Sexismus und Rassismus vor allem die »Propaganda des Privateigentums« weitertreibe. (16-19)

Zurecht erinnert Badiou an die Eigentumsfrage, die »das Herzstück des Marxismus« (14) bilde, der einmal, nach einem Wort von Sartre, »der unüberschreitbare Horizont unserer Kultur« gewesen sei. Die fortschreitende Kapitalkonzentration in den Händen weniger zeige die ungebrochene Richtigkeit dieser Theorie und müsse zum Anlass einer Wiederbelebung von Dialektik und Politik werden. Badiou sieht die Wirklichkeit von vier großen Tatsachen bestimmt: dem Sieg des globalen Kapitalismus, dem Zerfall der traditionellen bürgerlichen Oligarchie, der Verunsicherung und Frustration vieler Menschen und dem Fehlen einer Idee, die revolutionäre Potentiale binden könnte.

Der wahre Widerspruch der zurückliegenden US-Wahl sei nicht der zwischen Trump und Clinton gewesen, die beide Mitglied der globalen kapitalistischen Oligarchie seien, sondern zwischen Trump und Bernie Sanders, der zumindest in Ansätzen etwas formuliert habe, was sich jenseits des global-kapitalistischen Konsenses stellt – für Badiou freilich höchstens ein Anfang und nicht radikal genug.

Die neue Vierteilung des politischen Spektrums

Zwei Wochen nach der Wahl – Badiou ist mittlerweile in Boston an der Tufts University – hat sich der Ton gewandelt. Es geht nun ausdrücklich um »philosophische« Überlegungen; Trump sei zwar »eine interessante Tatsache«, man dürfe ihn aber keinesfalls überbewerten, denn er sei hauptsächlich ein Symptom, »etwas Undurchsichtiges und nicht wirklich Interessantes« (29). Viele Punkte aus der ersten Vorlesung werden wiederholt; neu ist vor allem eine Analyse des politischen Spektrums der demokratischen Staaten, das sich von einer Zwei- zu einer Vierteilung bewege: Trumps Sieg sei vor allem deshalb möglich gewesen, weil er sich weiter außen, d.h. auf der Grenze von Demokratismus und Extremismus bewege. Schaut man sich Frankreich (Melenchon, die Sozialisten, Macron, Le Pen) und Deutschland (LINKE, SPD/Grüne, CDU/CSU, AfD) an, scheint diese Analyse zutreffend; leider spricht Badiou an dieser Stelle nicht systematisch über die Parteien bzw. die politische Situation einzelner Länder.

Als Philosoph kommt es ihm vor allem darauf an, eine wirkliche Alternative zu formulieren, eine Idee, die sich in einer Bewegung materialisieren könnte. In Anlehnung an das berühmte Diktum von Marx, dass die Idee zur materiellen Gewalt werde, wenn sie die Massen ergreift, formuliert Badiou: »Eine Idee ist die Möglichkeit einer Bewegung, die sehr verschiedene Subjekte vereint.« (48) Wie aber lauten ihre Bestimmungen? Es sind die Inhalte des – von heute aus gesehen – utopischen Kommunismus, die unerreicht am Horizont aufleuchten: Eindämmung des Privateigentums; Überwindung des Gegensatzes von geistiger und körperlicher Arbeit; Gleichheit als Dialektik der Differenz, Unterschiede als Ausdruck von Gemeinsamkeit und die Infragestellung des Staats als Machtapparat zugunsten freier Assoziationen.

»Etwas erschaffen, das jenseits des Systems liegt«

Entsprechend lang ist der Weg, um von hier nach dort zu kommen. »Aus dem bestehenden System heraus kann keine Perspektive für etwas Neues entwickelt werden. Deswegen müssen wir etwas erschaffen, das jenseits des Systems liegt.« (53) Hier ist man versucht, systemtheoretisch informiert gegenzufragen: Wie anschlussfähig ist das Ganze? Zumindest eine Ahnung davon vermitteln die vier den schmalen Band abschließenden Fragen aus dem Publikum, eine m.E. gelungene verlegerische Entscheidung: Wie reagiert der gebildete, eher linke Amerikaner, der an diesem Tag in die Tufts University gekommen ist, auf Badious Vortrag? (Das hohe Bildungs- und Reflexionsniveau der Fragen legt allerdings nahe, dass es sich möglicherweise um Professoren handelt.)

Gleich die erste Frage nach der konkreten politischen Organisation der kommenden Bewegung lockt Badiou aus der Reserve: In einem langen Exkurs zu Lenin und zur Geschichte der kommunistischen Parteien macht er die Schwierigkeiten deutlich, Staatsorganisation und die Ideen der Bewegung zur Deckung zu bringen; allen Ernstes empfiehlt er »eine Diktatur des Volkes über den Staat« (59) – wo kommt plötzlich die Kategorie des Volkes her? –, die eben die ursprünglichen Ziele der Bewegung nicht verraten dürfe, wie es in der Sowjetunion, in China und anderswo geschehen sei. Mach’s noch einmal, Alain, nach Millionen und Abermillionen von Menschenopfern?

Von den insgesamt vier Fragen liefert vor allem die dritte weitere Aufschlüsse: Gegenüber dem Einwand, Trump sei vor allem ein Gegner des Freihandels und Vertreter eines neuen »ökomischen Nationalismus«, betont Badiou m.E. zurecht, dass das Hauptproblem doch sei, dass die Politik die Kontrolle über die globalen Geldströme verloren habe und daran auch Trump, diese »widersprüchliche« Figur, nichts ändern werde. Anschließend erlaubt sich Badiou die etwas chiliastisch anmutende Zuspitzung, dass nach der vollständigen Expansion des Kapitalismus nur noch zwei Möglichkeiten bestünden: der Übergang zum Kommunismus oder ein Rückfall in die Barbarei, letztere in Form von »Atomkrieg« (66), zum Beispiel im imperialistischen Kampf um den Einfluss in Afrika.

Fazit: Ein gerade mit etwas zeitlichem Abstand lesenswerter Band, der anschaulich macht, welche Zeitenwende der Polit-GAU namens Trump bedeutet und welche dahinterliegenden Problem- und Motivationslagen politisch-philosophisch in Betracht gezogen werden müssen. Befremdlich wirkt Badious offenbare oder uneingestandene Nähe zum Leninismus, der man höchstens zugutehalten kann, aus welcher unendlich unterlegenen Position er mit seiner Theorie zu operieren versucht. Der unnachgiebige Impuls, sich mit dem überall lauernden Konsens des falschen Lebens nicht gemein zu machen und der übermächtigen Realität zum Trotz auf einen utopischen Kommunismus zu setzen und zu hoffen, darf dagegen durchaus Bewunderung hervorrufen.

Alain Badiou: Trump. Amerikas Wahl, Wien: Passagen-Verlag 2017, 72 S.

Badiou über Wege aus der Weltkrise

Im sechsten Band einer 2012 begonnenen Gesprächsreihe nehmen Alain Badiou und sein Verleger Peter Engelmann unter dem Eindruck aktueller Ereignisse (Kriege, Migrationsbewegungen, Trump) die Diskussion um eine Alternative zum Kapitalismus wieder auf. Der schmale Band besteht aus zwei Gesprächen, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Dezember 2016 in Zürich geführt wurden, und einem kurzen Dialog im Anhang, der auf die Wahl Trumps zum Präsidenten der USA reagiert.

Nur vorwärts, nicht zurück: Alain Badiou gibt die Hoffnung auf eine Überwindung des Kapitalismus nicht auf. | © Keffieh67 / CC BY-SA 3.0

Badious theoretisches Bemühen ist insofern philosophisch zu nennen, als er zunächst einen Punkt zu erreichen sucht, von dem aus sich die bisherige Entwicklung überblicken lässt: „Da heute der Kapitalismus siegreich ist – und das ist eine Tatsache –, muss man zunächst die Idee und das Bewusstsein der Notwendigkeit, dass etwas anderes wirklich möglich ist, wiederherstellen, und zwar von Grund auf.“ (34) Gegenüber Engelmann, der den Begriff Kommunismus als historisch belastet ablehnt, will Badiou an ihm festhalten, um den Bruch zu markieren, der mit einer nichtkapitalistischen Reorganisation der Gesellschaft im globalen Maßstab verbunden wäre.

Auf der Suche nach einer nichtkapitalistischen Modernität

Der Rückblick ins 20. Jahrhundert zeigt jedoch für Badiou, dass etwa im Zeitraum von 1930 bis 1980 die „natürliche Entwicklung [sic!]“ (20) des Kapitalismus geschwächt war bzw. gebremst wurde. Die gescheiterten Experimente des real existierenden Sozialismus seien in ihrer Anlage und ihrem Scheitern noch nicht genügend aufgearbeitet – und sie hätten sich nicht nur ökonomisch nicht gegen den Kapitalismus behaupten können, sondern auch kulturell; geradezu „reaktionär“ (38) seien sie gewesen, während die kapitalistische Moderne sich durch den Widerspruch wachsender persönlicher Freiheit auf der einen und struktureller Ausbeutung auf der anderen Seite behauptet und ausgezeichnet habe.

Man müsse darum „eine Modernität erfinden, die mit etwas anderem kompatibel sein kann als mit dem Kapitalismus“ (37); es bestehe, anders als der „demokratische Diskurs“ suggeriere, den Badiou auch bei Engelmann am Werk sieht, keine Denknotwendigkeit einer Verbindung zivilisatorischer Errungenschaften mit dem Kapitalismus . Wer könnte jedoch die tragende Kraft dieser neuen Politik der Modernität sein? Badiou identifiziert vier Kräfte mit revolutionärem Potential auf globaler Ebene: 1. Das nomadische Proletariat – Heimatlose aller Länder, die auf der Suche nach Arbeit umherziehen, egal ob in Afrika, Europa, oder China; 2. Teile der Mittelklasse (z.B. Arbeiter), die sich wirtschaftlich bedroht fühlen und gegen liberale und populistische Einflüsse immun sind; 3. Teile der Jugend, die für die kommunistische Hypothese empfänglich sind: „Sie sehnt sich im Grunde danach, eine Modernität zu erfinden, die nicht verbrecherisch ist.“ (52); 4. Intellektuelle, die die Bewegung anführen könnten.

Neue Organisationsformen – jenseits von Hierarchie und Autoritarismus

Badiou denkt anschließend vor allem darüber nach, welche Organisationsform eine solche Bewegung annehmen könnte und kommt zu dem Schluss, dass sie – im Gegensatz zu den quasimilitärisch organisierten kommunistischen Parteien alten Stils – eher „biologisch“ und „kapillar“ (56) sein sollte, d.h. aus verteilten Gruppen bestehen, die relativ unabhängig voneinander agieren. Schließlich müsse man sich auch vom hegelianischen Element der produktiven Negativität verabschieden: Der neue Kommunismus werde nicht erst zerstören, um aufzubauen, sondern vor allem schöpferisch sein.

Im zweiten Gespräch wenden sich Engelmann und Badiou der Geopolitik und ökonomischen Globalisierung im engeren Sinne zu. Der französische Philosoph sieht einen Imperialismus des 21. Jahrhunderts am Werk, in dem staatliche und nichtstaatliche Akteure um Einflusssphären und Bodenschätze z.B. in Afrika konkurrieren. Dabei komme es in vielen Regionen der Welt zu einer Destabilisierung von Staaten („Zonierung“, 65), die zwar theoretisch im Sinne des Kommunismus (Absterben des Staates) wäre, einstweilen aber nur Leid und Zerstörung für die dort lebenden Menschen zur Folge hat: „Wenn der Staat nicht vorhanden ist, ist das Volk dem Schlimmsten ausgeliefert.“ (68)

Der sogenannte islamistische Terrorismus, der sich in solchen staatenlosen Räumen festsetzt, ist für Badiou in erheblichem Maße das Produkt westlicher Propaganda – nicht der Islam sei das Problem, sondern dass man es mit einer neofaschistischen Bewegung zu tun habe, die noch dazu als Akteur auf dem Weltmarkt auftritt, und die deshalb zwar antimodernistisch, aber nicht antikapitalistisch sei. Das wiederum verbinde sie mit anderen rechtsgerichteten, d.h. populistischen und nationalistischen Bewegungen: es sei eine Art „immanenter Widerstand“, der jedoch „keinen Gegenentwurf anzubieten habe“ (84). Badiou geht allerdings einen Schritt zu weit, wenn er behauptet: „Der islamistische Terrorismus, Polen, Ungarn, Donald Trump, Le Pen – sie alle gehören zum gleich Lager!“ (ebd.)

Die Ökonomie als Ganzes muss überwunden werden

Wie würde nun die kommunistische Alternative auf globaler Ebene aussehen? Badious Einlassungen hierzu wirken allzu bekannt und eher hohl; von „Gemeinwohl“ ist die Rede und das der Weltmarkt durch eine „Verwaltung auf globaler Ebene“ (90) ersetzt werden müsse – dass das verdächtig nach der gescheiterten Planwirtschaft klingt, bemerkt auch Gesprächspartner Peter Engelmann. Man muss Badiou jedoch zugutehalten, dass er das Problem auf eine sehr abstrakte Ebene hebt: Demnach sei die Überwindung der Ökonomie – die sprachliche Nähe zur „Aufhebung der Ökonomie“ bei Georges Bataille, der freilich anderes im Sinn hatte, ist bemerkenswert – eine Aufgabe, die bisher nicht annähernd gelöst wurde, weil sie gar nicht als Aufgabe begriffen und gestellt wurde. Anders als etwa Marx selbst, der der Überzeugung war, die grundsätzlichen Probleme gelöst zu haben, setzt Badiou also auf eine gewisse theoretische Offenheit bei der Suche nach einer Alternative zum Weltmarkt.

Auf den wiederum berechtigten Einwand Engelmanns, Ansätze zu globaler Solidarität seien kaum zu erkennen, antwortet Badiou mit einer Analyse der politischen Situation insbesondere der Linken, die sich nach der Wahl Trumps weiter verschärft hat. Demnach haben die Kulturalisierung und Intellektualisierung der Linken ihre Entfremdung vom Arbeitermilieu bewirkt – Ähnliches kann man z.B. auch bei Didier Eribon lesen: „Die einzige politische Kraft, die heute im politischen Diskurs das Wort ‚Arbeiter‘ in den Mund nimmt, ist die extreme Rechte. Solche Kategorien sind bei der Linken vollkommen verschwunden.“ (110)

Was also tun? Badious Vorschläge erschöpfen sich leider zu einem großen Teil in vagen Andeutungen, gängigen Sprachspielen und unbestimmten Hoffnungen. Auf der einen Seite beeindruckt das Abstraktionsniveau der Theorie, das es erlaubt, Kapitalismus als endliche und damit überwindbare gesellschaftliche Einrichtung fassbar zu machen; auf der anderen Seite folgt daraus eine gewisse Oberflächlichkeit, die außerdem überall Faschismen am Werk sieht, die es zu bekämpfen und abzuwehren gelte. Dem Widerspruch der Linken, dass sie zum einen als Teil der Establishments gilt, zum anderen sich mit ihren radikalen Forderungen als zu wenig anschlussfähig erweist, kann sich auch Badiou – zumindest im vorliegenden Band – nicht entziehen.

Alain Badiou: Für eine Politik des Gemeinwohls. Im Gespräch mit Peter Engelmann (= Passagen Gespräche 6), Wien: Passagen 2017, 120 S.